„Krieg ist Frieden“, das ist eine jener Botschaften, die George Orwell bereits vor rund 70 Jahren in seinem Zukunftsroman „1984“ vorwegnahm (neben vielen anderen Entwicklungen, die trauriger Teil der heutigen Alltagserfahrung sind). Die Botschaft erscheint in vielen Gewändern, z.B. jenem der „humanitären Intervention“ durch militärische Gewalt, dies in einer Welt also, in der nicht nur die Rüstungsausgaben der reichsten Staaten ihre Ausgaben für Entwicklungshilfe um ein Vielfaches übersteigen, sondern auch das tägliche Sterben von zehntausenden Menschen aus Mangel und Not billigend in Kauf genommen wird, ja, durch Handelspolitik gar aktiv herbeigeführt wird. Die Geopolitiker und Militärstrategen jedoch bemühen sich auch hierzulande immer eifriger darum, die Botschaft vom Krieg, der Frieden ist, an die bislang unwillige deutsche Bevölkerung zu vermitteln. Eine Botschaft, die in Anbetracht gerade der „Erfolgsbilanz“ der Friedenskrieger in jüngerer Zeit, mit den hunderttausenden Menschenopfern (im NATO-Vokabular: „Kollateralschäden“), sowie dem Chaos und der extremistischen Gewalt, die hinterlassen wurden, eigentlich unplausibler denn je sein sollte.
Vor einiger Zeit sprach Bundespräsident und Pastor Gauck jedoch von der „glückssüchtigen Gesellschaft“, die nicht ertragen könne, „dass es wieder deutsche Gefallene gibt“. Wer um die Vorstellungswelten vieler Eliten weiß, wie sie sich diversen Strategiepapieren entnehmen lassen, kann sich tatsächlich auf reichlich „Gefallene“ in der Zukunft einstellen, da nun wieder auch von deutschem Boden aus, auf wahrlich Großes gezielt wird. Es geht um weit entfernte Länder, in denen viele Millionen Menschen leben, die in Kategorien wie „Globalisierungsverlierer“, „Flüchtlingsströme“, „Herausforderer“, „Störer“ oder zu Weilen auch „Schurkenstaaten“ eingeteilt werden, um ihnen dann jene Maßnahmen zukommen zu lassen, auf die sich die geopolitischen Eliten eben am besten verstehen: militärische Gewalt – schließlich bauen Funktion, Dienstgrad oder wissenschaftliche Karriere dieser Leute darauf auf.
Doch steht die Gewalt eben ganz im Dienste der „Friedenssicherung“. Und genau so stellt sich auch das jüngste Unterfangen der Geostrategen dar, die „Kiel Conference 2015“, die im Norden eine feste und wiederkehrende Institution hierfür schaffen soll. Am 23. Juni, während der Kieler Woche, wird sie vom „Institut für Sicherheitspolitik“ (ISPK), das der Uni Kiel angegliedert ist, auf der einen, sowie dem „Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters“ (COE-CSW), einer NATO Einrichtung für die Erarbeitung u.a. maritimer Militärdoktrinen, auf der anderen Seite, ausgerichtet. Dabei versteht sich die Konferenz ganz im Geiste des „Pax Optima Rerum“, „Der Frieden ist das höchste Gut“, wie das ISPK auf seiner Seite verkündet.
Nachdem die Idee vom positiven Frieden, einem Frieden also, der auf der Abwesenheit struktureller Gewalt beruht (durch Schaffung von Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich), marginalisiert wurde, soll nun auch die Idee vom negativen Frieden (Abwesenheit direkter Gewalt) allmählich dem Bewusstsein der Menschen entzogen werden. Wer nämlich modern sein will, muss einsehen, dass sich solche Ideen in der globalisierten Welt schlicht überlebt haben. Die globalisierte Welt braucht Aufrüstung und weltweite Militäreinsätze, wie es öffentlichkeitswirksam durch hohe NATO-Funktionäre propagiert wird.
Das Taufrecht auf Frieden liegt dabei allein bei den Geopolitikern und Militärstrategen, den ihnen angegliederten Wissenschaftlern und der Rüstungsindustrie, pardon, im ISPK Wörterbuch spricht man von „maritimer Wirtschaft“. Das ISPK selbst ist eine Institution, die natürlich ihrerseits reine Friedensforschung betreibt, „Sicherheitspolitik“ eben. Wessen Sicherheit, in einer Welt, in der es darum geht, Handelswege und Rohstoffinteressen zu verteidigen (wie etwa der Bananenwerbespotder Bundeswehr bekennt), wessen Sicherheit genau, in einer Welt, in der mit jedem Tag, der vergeht, die Verteilungsverhältnisse in ihrer Unzivilisiertheit zunehmen und der globale Süden sich erhebt, das darf man sich indes fragen. Das ISPK jedenfalls ist stolz auf seine Forschungsleistungen rund um „Counterinsurgency“ oder eben Aufstandsbekämpfung, pardon, „Aufstandsbewältigung“, die es im Zuge des Afghanistan-Krieges sammeln konnte. Und sein Leiter, Prof. Dr. Joachim Krause, gehört zu den obersten Friedensstiftern überhaupt, weshalb er sich auch vehement gegen Zivilklauseln an Universitäten stellt, die einer Zusammenarbeit mit Rüstungsindustrie und Militär vorbeugen könnten. In ihnen ginge es eben gar nicht um den Frieden, wie Herr Krause betont, sondern darum, dass sie von „linken und linksextremistischen Gruppen unterschiedlicher Provenienz als Einfallstor genutzt werden, um den Betrieb an der Universität entweder in ihrem Sinne zu steuern oder diesen zu stören.“ Hier sah Herr Krause bereits 2013 eine „regelrechte Kampagne“ in den Initiativen zahlreicher Studierender, Zivilklauseln nach dem Vorbild der bereits an 13 Universitäten bestehenden auch an ihrer Universität einführen zu wollen. (Was etwa an der Universität Kiel von 73% der an der Abstimmung teilnehmenden rund 4000 Studierenden, die vom AStA in die Wege geleitet wurde, befürwortet wurde.) Für einen Herrn Krause steht hinter derartigen Aktivitäten jedoch ausschließlich das Ziel…
„[…] die Universität zu nutzen, um eine Verfassungsinstitution wie die Bundeswehr zu diskreditieren und gesellschaftlich zu isolieren. Dahinter steht häufig die Absicht, Stimmung gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen von internationalen Friedensmissionen und Missionen der Friedenskonsolidierung zu machen.“
(Joachim Krause, Zivilklausel – Nein Danke! Warum ich gegen „Zivilklauseln“ an deutschen Universitäten bin)
Hierbei ist der ISPK-Leiter Krause so leidenschaftlich unterwegs, dass er offenbar auch einschlägige Vergleiche nicht scheut, um die Dramatik der Situation deutlich zu machen. So verglich eine Ursprungsversion seines Textes Zivilklauseln mit jener Zeit, „in der Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren.“ Die NachDenkSeitenberichteten bereits 2013 darüber.
Wurde die Zivilklausel an der Uni Kiel ganz im Sinne von Herrn Krause und entgegen dem Willen der Mehrheit der abstimmenden Studierenden bislang verhindert, konnte sich der Leiter des ISPK in anderen Bereichen mit seinen Vorstellungen von Friedenssicherung glücklicherweise noch nicht durchsetzen. So wollte Frau Merkel in Anbetracht der Ukraine-Krise offenbar nicht auf seine Ratschläge hören, die er im Umgang mit Russland im vergangenen Jahr doch so friedensbemüht in der FAZ darlegte:
„Die derzeitige westliche Politik, die sich auf ökonomische Sanktionen beschränkt, verschlimmert diese Situation noch, denn sie erzeugt auf russischer Seite Sachzwänge zu raschem Handeln (d.h. weitere Fakten zu schaffen, ehe die Sanktionen greifen). Besser wäre eine Politik, die auf Eskalationsdominanz zielt und dabei auch realistische militärische Maßnahmen nicht ausschließt. Dazu können Waffenlieferungen an die Ukraine ebenso gehören wie amerikanische Luftunterstützung für die Ukraine im Kampf gegen irreguläre Truppen – eine Option, die Putin fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.“ (Joachim Krause, Droht der >>Große Krieg?<<, FAZ vom 4.9.2014)
Schaut man sich jedoch noch den zweiten Veranstalter der friedensbemäntelten „Kiel-Conference 2015“ an, das NATO „Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters“, wird deutlich, wohin die Reise vom Ostseeraum aus gehen soll. In einem Strategiepapier der Organisation mit dem Titel „Prospective Operations in Confined and Shallow Waters“ wird auf die anhaltende Verstädterung der Welt verwiesen, die sich zu einem Großteil in Küstenregionen ereignet. Ressourcenknappheit, Infektionskrankheiten und Einkommensungleichheit können hier zu Unzufriedenheit und steigender Kriminalität bishin zu zivilen Unruhen führen, doch auch Ressourcenkonkurrenz zwischen Staaten werden als Gefahren benannt, die gerade in begrenzten und flachen Gewässern („confined and shallow waters“) zu neuen Herausforderungen für all jene Strategen werden, die offenbar wie selbstverständlich die Welt als ihr militärisches Einsatzgebiet zur Realisierung eigener Interessen über das Leid der vielen anderen hinweg sehen:
„Demand for food, water, and energy will grow significantly owing to an increase in the global population and the consumption patterns of an expanding middle class. Climate change will worsen the outlook for the availability of these critical resources. The rising nutritional demand remains a vital issue to mankind as starvation and malnutrition are capital drivers for social unrest, riots, and revolts easily creating areas with reduced governance up to failed states. Therefore, the relevance of the maritime environment, especially of the EEZs [200-Meilen-Zone, JJ] and sea beds, for world resource supplies will further increase.“
(COE-CSW, „Prospective Operations in Confined and Shallow Waters“, 2015)
In dieser Auseinandersetzung, die ganz in den Kategorien von Macht, Gewalt und Interessen konzeptualisiert wird, werden auch die neuen Technologien rund um Miniaturisierung, Robotertechnik oder künstliche Intelligenz benannt, die sich besonders im Bereich flacher Küstengewässer nutzen lassen, „to counter the threats or to mitigate risks and, at the same time, to best exploit its opportunities.“
Und diese „opportunities“ werden auch und gerade in der globalen Katastrophe der Klimaerwärmung erkannt:
„Furthermore, global warming is causing the ice to melt at the poles, improving access to the Arctic as well as Antarctica and will potentially allow for growing exploitation of natural resources in previously inaccessible regions. From the geographical point of view, a new focus area will arise in the Arctic environment that may be regarded as ’confined’ and in parts of the passages also as ’shallow’. Intensified human activities in the Arctic and Antarctica will raise many issues. However resource exploration and exploitation may not easily be governed especially in those regions and rather trigger a danger of enforcing economic or political interests.“
(COE-CSW, „Prospective Operations in Confined and Shallow Waters“, 2015)
Die „confined and shallow waters“ werden hierbei als „battlespace“ bezeichnet, der mit flexibler Zukunftstechnik erschlossen werden soll:
„The latter combines autonomous devices for basic tasks with smaller platforms for specific purposes, mounting respective modules that allow flexible adjustments to the operational demands. Larger ‘mother assets’ round out this approach and ensure world-wide deployability, superb sustainability, on-site swap of modules, as well as comprehensive execution of command and control.“
(COE-CSW, „Prospective Operations in Confined and Shallow Waters“, 2015)
Halten wir fest: „Command and control“ im weltweiten Maßstab und im Dienste der Ressourcensicherung über die elendig Gemachten dieser Welt hinweg oder ihnen militärisch entgegen. Das ist der Frieden der Zukunft, der somit wohl auch auf der „Kiel Conference“ in einigen Tagen seine feste Einrichtung erhalten soll.
Wenn solche Organisationen Konferenzen ausrichten, die sich das Kieler Universitätsmotto „Pax Optima Rerum“ umhängen und mit dem ISPK die Türen der Universität aufstoßen, sollte diese schon einmal Ausschau nach dem Imageberater halten, der die „nötigen Illusionen“ (Chomsky) erzeugen kann, um das Motto nicht gänzlich der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Menschen jedoch, die es ernst meinen mit einer friedlichen und gerechten Welt, wären gut beraten, gegen die „Kiel Conference“ Protest einzulegen und für eine Zivilklausel an der Kieler Universität einzutreten, die der Beihilfe bei der Realitätssetzung und den Kriegsspielen der Geostrategen entgegenwirken würde. Auch wenn so manch „Friedensstifter“ der begonnenen Zukunft all dies als „einfach nicht zeitgemäß“ deuten mag.
Als Teil des Bündnisses gegen die friedensbemäntelte „Kiel-Conference 2015“ verweisen wir auf die geplante Demonstration am Dienstag, dem 23.6.:
„War starts here – Keine Kriegs-Konferenz in Kiel!“
Außerdem ein Verweis auf die Informations- und Diskussionsveranstaltung am Montag, dem 15.6., im Norbert-Gansel-Hörsaal (Alte Mensa) um 19 Uhr u.a. mit Tobias Pflüger (Informationsstelle Militarisierung), Frank Hornschu (DGB Kern), Mechthild Klingenburg-Vogel (IPPNW) und Ruben Reid (Zivilklausel-Beauftragter des AStA).